Erwin Schrödinger-Preis 2021

Christoph Bock wird für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet des Single Cell Sequencing und der Epigenetik ausgezeichnet.

Es ist ein Wunder, wie sich unser Körper aus einer einzigen befruchteten Eizelle entwickelt, präzise orchestriert von unseren Genen. Ebenso bemerkenswert, wie die knapp vierzig Billionen Zellen unseres Körpers zusammenarbeiten und ganz unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, obwohl sie genetisch weitgehend identisch sind. Wir erforschen, wie sich Zellen spezialisieren, wie sie „erinnern“ und sich auf zukünftige Herausforderungen vorbereiten, ein Leben lang.

Unsere Perspektive ist die Epigenetik – ein Blick jenseits der DNA und auf jene Prozesse, die die Aktivität und Aktivierbarkeit unserer Gene steuern. Man kann sich die Epigenetik wie eine Sicherheits-Software unseres Erbguts vorstellen. Sie steuert den Zugang zur „Hardware“ unserer Gene: Eine Zelle kann nur jene Gene aktivieren, die sie wirklich benötigt. Je mehr sich eine Zelle spezialisiert, desto mehr verliert sie andere Fähigkeiten – aus Sicherheitsgründen, denn die Aktivierung des falschen Gens zur falschen Zeit kann eine Zelle zerstören oder sogar Krebs verursachen.

Ich bin als Informatiker, als Experte für komplexe Datenanalysen und Artificial Intelligence in die biomedizinische Forschung gekommen. Während meiner Dissertation am Max-Planck-Institut für Informatik (Deutschland) haben wir leistungsfähige Computerprogramme entwickelt, um den epigenetischen Code zu entschlüsseln (Bock et al. 2008 Bioinformatics). Als Postdoc am Broad Institute of MIT and Harvard (USA) habe ich die epigenetische Regulation von Stammzellen erforscht. Unter anderem haben wir eine Methode entwickelt, um das Entwicklungspotential dieser Zellen voraussagen zu können (Bock et al. 2011 Cell).

Seit zehn Jahren arbeite ich in Österreich, am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und an der Medizinischen Universität Wien. Meine Forschungsgruppe entwickelt Methoden für die epigenetische Analyse, mit der wir Krankheit, Gesundheit und Alterung verstehen wollen. Wir schauen durch die Linse der Epigenetik in die Vergangenheit der Zellen. Und wir versuchen, ihr epigenetisches Potential vorherzusagen.

Krebs entsteht, wenn eine Zelle alle Schutzmaßnahmen überwindet, sich unkontrolliert vermehrt und gesunde Zellen verdrängt. Eine einzige Krebszelle reicht aus, um einen lebensbedrohenden Tumor entstehen zu lassen. Diese allererste Krebszelle lässt sich nicht direkt beobachten. Denn klinische Symptome entstehen erst, wenn ein Tumor schon weit fortgeschritten ist. Aber wir können die epigenetischen Profile von Tumorzellen analysieren, in denen ein molekulares Abbild der ersten Krebszelle fortbesteht, und wir können Rückschlüsse auf den Beginn einer Krebserkrankung ziehen.

 

Meine Forschungsgruppe hat epigenetische Veränderungen bei Hirntumoren im Zeitverlauf untersucht und eine beachtliche Vielfalt von Mustern im selben Tumor beobachtet (Klughammer et al. 2018 Nature Medicine). Es scheint, dass epigenetisch diverse Tumore einer Chemotherapie besser ausweichen und Resistenzen entwickeln. Und bei kindlichen Knochentumoren spiegeln die epigenetischen Profile einen Pfad der Zelldifferenzierung wider und verknüpfen unser Verständnis dieser Krebserkrankung mit der Entwicklungsgeschichte unseres Körpers (Sheffield et al. 2017 Nature Medicine).

Zum Glück schützt unser Immunsystem recht gut vor der Entstehung von Krebs, und natürlich vor diversen Infektionskrankheiten. Auch hier spielt die Epigenetik eine zentrale Rolle. Wir haben als Beitrag zum „International Human Epigenome Consortium“ detaillierte epigenetische Karten des Immunsystems angelegt (Farlik et al. 2016 Cell Stem Cell). Und wir haben überraschend vielfältige Immun-Aktivität in Strukturzellen beobachtet, in wichtigen Bausteinen des Körpers (Krausgruber et al. 2020 Nature). Diese Zellen sind epigenetisch auf Bereitschaft programmiert, sodass sie schnell reagieren können, wenn sie zum Beispiel durch eine Virusinfektion angegriffen werden.

Unsere Forschungen basieren auf anspruchsvollen biotechnologischen Methoden in Kombination mit bioinformatischer Analytik. Ein besonderer Stellenwert gebührt dem Single Cell Sequencing – erst wenn wir einzelne Zellen in ihrer Vielfalt analysieren und vergleichen, können wir deren Zusammenspiel in unserem Körper verstehen. Wir haben am CeMM die ersten Einzelzell-Sequenzierungen in Österreich durchgeführt und eine frühe Methoden zur epigenetischen Analyse von Einzelzellen entwickelt (Farlik et al. 2015 Cell Reports). Diese Technologien haben wir vielfach angewandt – zum Beispiel in diversen Kooperationen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Biologie und der Medizin und zur Erstellung epigenetischer Karten von Organoiden als Beitrag zum internationalen „Human Cell Atlas“ Konsortium (Bock et al. 2021 Nature Biotechnology).

Besonderer Dank gebührt meinen Dissertationsbetreuern Thomas Lengauer (Max-Planck-Institut für Informatik) und Jörn Walter (Universität des Saarlandes), meinem Postdoc-Betreuer Alexander Meissner (Harvard University), dem CeMM-Direktor Giulio Superti-Furga, sowie meiner Ehefrau und langjährigen Kooperationspartnerin Eleni Tomazou (St. Anna Kinderkrebsforschung).

Der Preisträger

Christoph Bock ist Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professor für Medizinische Informatik an der Medizinischen Universität Wien. Seine Forschung kombiniert experimentelle Biologie (Epigenetik, Single Cell Sequencing, CRISPR Screening, synthetische Biologie) mit Methoden der Informatik (Bioinformatik, maschinelles Lernen, Artificial Intelligence) – im Kontext von Krebs, Immunologie und Präzisionsmedizin (https://www.bocklab.org & https://twitter.com/BockLab).

Bevor er nach Wien kam, war Christoph Bock als Postdoc am Broad Institute of MIT and Harvard (2008-2011) und als Doktorand am Max-Planck-Institut für Informatik (2004-2008) tätig. Er ist außerdem wissenschaftlicher Koordinator der Biomedical Sequencing Facility des CeMM und der Medizinischen Universität Wien, Informatik-Gruppenleiter am Ludwig Boltzmann Institut für seltene und nicht diagnostizierte Krankheiten (LBI-RUD), Fellow des European Lab for Learning and Intelligent Systems (ELLIS) und gewähltes Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Auszeichnungen (Auswahl):

Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft (2009), ERC Starting Grant (2016-2021), ERC Consolidator Grant (2021-2026), Overton-Preis der International Society for Computational Biology (2017), Aufnahme in die Liste der „Highly Cited Researchers“ von Clarivate Analytics (seit 2019).