Matthias Kaltenbrunner wird für seine Monographien Der Karabiner von Stalin. Ein sowjetisches Leben zwischen Bürgerkrieg, Konzentrationslager und Gulag und Das global vernetzte Dorf. Eine Migrationsgeschichte sowie Flucht aus dem Todesblock. Der Massenausbruch sowjetischer Offiziere aus dem Block 20 und die „Mühlviertler Hasenjagd“ ausgezeichnet.
Kaltenbrunners Forschung zur Geschichte Osteuropas kombiniert innovative methodische Zugänge mit einer detektivischen multinationalen Quellenrecherche, die neben staatlichen Archiven auch Privatsammlungen und Oral History einschließt.
In seiner Studie „Das global vernetzte Dorf. Eine Migrationsgeschichte“ wird ein Cluster von Dörfern in der Westukraine vom letzten Drittel des 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert als eine Geschichte der Netzwerke zu Migrant:innen in Kanada untersucht. Das Ausmaß an globaler Vernetzung von Dorfbewohnern in einer ökonomisch benachteiligten Grenzregion stellt nicht nur das Konzept von Peripherie und Zentrum auf den Kopf, sondern dekonstruiert auch die Vorstellung einer hermetisch abgeriegelten Sowjetunion: Die migrantischen Netzwerke waren stark genug, den Eisernen Vorhang in wesentlichen Bereichen zu durchdringen, sei es durch Paketsendungen oder gegenseitige „touristische“ Besuche.
Ein wichtiger Schwerpunkt von Kaltenbrunners Forschung sind auch Gewalterfahrungen in der Sowjetunion im Spannungsfeld von Handlungsoptionen, autobiografischen Strategien und Heldennarrativen. Kaltenbrunner erstes Buch „Flucht aus dem Todes-block“ beleuchtet einen Massenausbruch kriegsgefangener sowjetischer Offiziere aus dem Konzentrationslager Mauthausen im Februar 1945. Von wesentlicher Bedeutung ist der komplexe Ausverhandlungsprozess einer ideologisch präsentierbaren Meistererzählung durch die acht bekannten Überlebenden im politischen Kontext der „Tauwetterperiode“ der späten 1950er und frühen 1960er Jahre.
Einen anderen Fokus nimmt Kaltenbrunners neueste Studie „Der Karabiner von Stalin. Ein sowjetisches Leben zwischen Bürgerkrieg, Konzentrationslager und Gulag“ ein. Das Buch erzählt die Biografie eines Sowjetoffiziers, der als Kindersoldat im Russischen Bürgerkrieg kämpfte und später sowohl ein NS-Konzentrationslager als auch den sowjetischen Gulag überlebte. Anhand von Verhörprotokollen des NKVD und konfiszierten klandestinen Aufzeichnungen aus dem Gulag, einem autobiografischen Romanmanuskript und einem umfangreichen Briefwechsel wird die Geschichte eines Menschen analysiert, der sein Leben in unterschiedlichen Kontexten immer wieder neu erzählte.
Dr. Matthias Kaltenbrunner ist seit Februar 2024 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen des ERC Advanced Grant „Hidden Legacies: How Discontinued International Organizations Have Shaped European Governance since the 1910s“ (InechO) arbeitet er an einem Teilprojekt zum Nachleben des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW/Comecon).
Matthias Kaltenbrunner studierte Geschichte in Wien und Warschau und pro-movierte 2015 an der Universität Wien. Dort war er auch als Postdoktorand am Institut für Osteuropäische Geschichte sowie am Research Centre for the History of Transformations (RECET) tätig. Längere Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an die University of Alberta in Edmonton, Kanada, und an die Harvard University
Zu seinen Forschungsinteressen gehören die Geschichte Ost- und Mitteleuropas im späten 19. und 20. Jahrhundert mit besonderem Schwerpunkt auf NS-Gewaltherrschaft und Gulag, Migration, Biografieforschung sowie soziale und wirtschaftliche Transformationen in Europa nach 1989/1991.