Stephanie Sailer wird für ihr Dissertationsprojekt Die Fortuna der Dürer-Zeichnungen – eine europäische Sammlungsgeschichte, ihre Akteure, Diskurse und Praktiken ausgezeichnet.
Mit mehr als 1000 Zeichnungen, die heute als eigenhändige Originale anerkannt werden, hat Albrecht Dürer (1471–1528) so viele Zeichnungen wie kein anderer nordalpiner Künstler der Frühen Neuzeit geschaffen. Das Medium Zeichnung war nicht nur zentraler Bestandteil seiner eigenen künstlerischen Praxis, auch in seinen theoretischen Schriften hebt er den Stellenwert der Handzeichnung hervor. Obwohl Albrecht Dürer heute große Bewunderung als Zeichner genießt – Werke wie der Feldhase, die Betenden Hände und das Große Rasenstück zählen zu den berühmtesten Werken der Kunstgeschichte – waren seine Zeichnungen aber bis in das 19. Jahrhundert nahezu unbekannt. Diese Tatsache liegt in der Sammlungsgeschichte der Zeichnungen begründet, die im Zuge dieser Dissertation erstmals systematisch untersucht wird.
Das Dissertationsprojekt hat zwei Zielsetzungen: Zunächst werden die ursprünglichen Besitzerverhältnisse und Sammlungswege rekonstruiert, die die Zeichnungen von der Dürer-Werkstatt bis zu ihrer Musealisierung im 19. Jahrhundert nahmen. Diese Untersuchung umspannt einen Zeitraum von knapp vier Jahrhunderten und wird aufzeigen, dass der Name Albrecht Dürers – im Gegensatz zu seinen italienischen und niederländischen Künstlerkollegen – in den frühen Inventaren und Auktionskatalogen nur an wenigen Stellen auftaucht, da sich bereits im 16. Jahrhundert eine primär lokale und auf sehr wenige Akteure limitierte Sammlerschaft etabliert hatte. Erst während der napoleonischen Kriege gelangten wichtige Bestände auf den Kunstmarkt, die im Laufe des 19. Jahrhunderts Einlass in die bedeutendsten europäischen Zeichnungskabinette fanden und so die Wiederentdeckung Dürers als Zeichner erst ermöglichten.
Aufbauend auf die Provenienz-Recherche wird die Sammlungsgeschichte in einem weiteren Schritt von einer sozial- und geschmacksgeschichtlichen Perspektive aus betrachtet. Die Arbeit fragt nach den sozialen und intellektuellen Räumen, die die Zeichnungen durchwanderten, und untersucht die Rolle und Wertigkeit, die die Dürer-Blätter in den jeweiligen Sammlungskontexten einnahmen. Im Interesse stehen die Sammler und ihre Motivationen, ihr soziales und ökonomisches Verhalten beim Anlegen ihrer Graphikkabinette und ihr praktischer Umgang mit den Zeichnungen. Indem die Dürer-Blätter als Sammelobjekte betrachtet werden, sollen neue Aussagen über ihre Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte Dürers in Kunst, Literatur und Forschung getroffen werden.
Stephanie Sailer hat das Masterstudium Kunstgeschichte 2019 an der Universität Wien abgeschlossen. Seit März 2020 ist sie Dissertantin am Institut für Kunstgeschichte sowie Fellow der Vienna Doctoral School of Historical and Cultural Studies (DSHCS), Schwerpunkt: Kunstgeschichte und visuelle Kultur.
Seit Februar 2020 hat Stephanie Sailer eine Praedoc-Stelle (Universitätsassistenz) am Lehrstuhl für Neuere Kunstgeschichte bei Univ.-Prof. Dr. Sebastian Schütze, und ist seit September 2019 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Vienna Center for the History of Collecting, welches am Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien, und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist.