Magdalena Gronau und Martin Gronau erhalten den Bader-Preis für die Geschichte der Naturwissenschaften 2017 für ihr Forschungsprojekt „Die Philologie der Physiker. Zur humanistischen Inspirationsgeschichte der Quantentheorie“. Ihr Vorhaben vereint altphilologisches und naturwissenschaftliches Spezialwissen und bringt es mit kulturwissenschaftlichen Perspektiven in Verbindung. Es ist im besten Sinn interdisziplinär: Es bricht die Grenzen zwischen den Disziplinen auf der Grundlage ausgezeichneter fachspezifischer Expertise.
Ziel des Projekts ist es, interdisziplinäre Wechselwirkungen im intellektuellen Umfeld der frühen Quantenphysik historisch zu ergründen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Korrespondenzen und Schriften der bedeutendsten, vornehmlich aus dem deutschen Sprachraum stammenden Quantentheoretiker reich sind an Rekursen auf altgriechische Begriffs- und Bildwelten. Diese waren ihnen durch die profunde altphilologische Bildung zugänglich, die sie u.a. an renommierten humanistischen Gymnasien erhalten hatten. Darüber hinaus standen zahlreiche Physiker und Nobelpreisträger wie Erwin Schrödinger, Werner Heisenberg oder Wolfgang Pauli bis ins Alter in engem Austausch mit bedeutenden Altertumswissenschaftlern und Philologen, konnten so ihr Antike-Wissen beständig erweitern und in ihren Spätwerken sogar wissenschaftsgeschichtliche Ausflüge zu den vermeintlichen antiken Ursprüngen der Quantentheorie unternehmen.
Das Projekt widmet sich diesem Phänomen auf mehreren Ebenen, die in Abhängigkeit von ersten Forschungsbefunden unterschiedlich akzentuiert werden können. Zum einen zielt es auf eine Untersuchung des humanistisch geprägten intellektuellen Umfelds ab, in welchem es zu einem produktiven Austausch zwischen der florierenden Altphilologie und der gerade im Entstehen begriffenen modernen Physik kam. Als Studie zur fachübergreifenden Antike-Faszination ergänzt das Vorhaben damit bisherige Forschungen zur ‚Milieubedingtheit‘ (Schrödinger) der Quantenphysik um zentrale, bisher kaum beachtete Aspekte. Indem das Projekt die „Philologie der Physiker“ ins Zentrum rückt, folgt es zum andern aktuellsten Forschungsansätzen, die einen Brückenschlag zwischen Wissenschaftsgeschichte und Geschichte der (Alt-)Philologie anregen – auch auf der Ebene ihrer jeweiligen Praktiken. Wie beeinflusste die „philologische Schule“, die die Quantentheoretiker durchlaufen hatten, ihre Arbeits- und Erkenntnistechniken? Konnte die Synergie von Physik und Philologie letztlich sogar zu einer neuen Lesart des „Buches der Natur“ führen? Auf einer eher ideengeschichtlichen Ebene soll schließlich untersucht werden, inwiefern die humanistischen Inspirationsquellen der Physiker die späteren sprachlich-philosophischen Interpretationen quantenphysikalischer Phänomene beeinflusst haben, die sonst nur in komplexen mathematischen Formalismen fassbar waren. Umgekehrt wird zu klären sein, ob die mit der Quantentheorie einhergehende epistemische Revolution auch zu Neulesungen naturphilosophischer Quellentexte aus dem Altertum führen konnte.
Durch die fundierte und perspektivenreiche Analyse derartiger Wechselwirkungen leistet das Projekt einen grundlegenden Beitrag zur Erhellung der Wissenschaftsgeschichte nicht nur der Quantentheorie, sondern auch der Altphilologie.
Martin Gronau studierte bis 2010 das Gymnasiallehramt für die Fächer Altgriechisch, Geschichte und Gemeinschaftskunde an der Technischen Universität Dresden und der Università degli Studi di Siena. Für seine altertumswissenschaftlichen Promotionsstudien an den Universitäten Innsbruck und Frankfurt erhielt er ein Doktoratsstipendium des Internationalen Graduiertenkollegs ‚Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert‘. 2013/14 war er Gastdoktorand an der Università degli Studi di Pavia, 2014/15 Junior Fellow am ‚Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften‘ (IFK) in Wien. Danach war er als IFK_Fellow_Abroad im Rahmen mehrmonatiger Forschungsaufenthalte an der Fudan University Shanghai, am Institut für Kulturwissenschaften der Humboldt Universität Berlin sowie an der McGill University Montréal tätig. Seit Januar 2017 ist er Stipendiat am Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte der Universität Erfurt.