Bader-Preis für die Geschichte der Naturwissenschaften 20120

Sarah Lang wird für ihr Dissertationsprojekt Obscurum vocabulum Chymiae? Zur polysemantischen Annotation und Disambiguierung alchemischer Decknamen am Beispiel des Korpus des Arztalchemikers Michael Maier (1568–1622) ausgezeichnet.

 

Der Übergang von alchemischer Sprache zu chemischer Nomenklatur ist allgemein als zentrales Element der Chemiegeschichte anerkannt. Neuere Studien der Alchemiegeschichte zeigen jedoch, dass auch hinter der vormals häufig als obskur und sinnfrei bezeichneten Sprache der Alchemie valide chemische Erkenntnisse standen.2 Die alchemische Sprache selbst bleibt aber wenig systematisch erforscht und inspiriert seit jeher esoterische Interpretationen. Dabei sind es vor allem die sogenannten Decknamen, die – oftmals in Form mythologischer Gestalten – von Alchemisten und Chymikern anstatt chemischer Formeln verwendet wurden. 

Doch seit den 1990er Jahren hat sich infolge der Pioniersarbeiten von Lawrence Principe und William Newman in der Alchemieforschung die sogenannte ‘New Historiography of Alchemy’ durchgesetzt – ein Forschungsansatz, der versucht alchemische Decknamen chemisch zu lesen und die Lesung über experimentalarchäologische chemische Experimente zu verifizieren. 

Dieser naturwissenschaftliche Zugang zu alchemischen Texten, die uns aufgrund ihrer eigenartigen Sprache heutzutage mitunter fremd, gar unwissenschaftlich anmuten, hat dazu beigetragen, nicht nur unsere Vorstellung von alchemistischen Sprechweisen, sondern das Alchemiebild im Allgemeinen zu revidieren, indem er chemische Leistungen von Alchemisten und Chymikern feststellbar macht. Doch auch das Konzept der ‘alchemischen Sprache’ muss infolgedessen einer grundlegenden Revision unterzogen werden.

Neben der chemischen Nachstellung historischer Rezeptvorschriften können auch digitale Methoden zur Erforschung alchemischer Decknamen beitragen: Das vorliegende Projekt, das sich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftsgeschichte und Digital Humanities befindet, befasst sich mit der Frage nach der Funktionsweise alchemischer Sprache.

Es hat zum Ziel, eine digitale Methode zur automatisierten semantischen Annotation und halbautomatisierten Disambiguierung des Stilmittels der sogenannten Decknamen zu entwickeln. Es beleuchtet das Konzept der alchemischen Sprache, indem es sie im Kontext eines digitalen Korpus mithilfe von Machine Reasoning analysierbar macht. 

Es setzt sich zur Aufgabe, das Korpus der Druckwerke des deutschen Iatrochymikers Michael Maier (1568–1622)6 mithilfe automatisierter Annotation und Disambiguierung in Bezug auf seine Decknamenverwendung zu untersuchen; einerseits mithilfe eines Semantic Web Thesaurus unter der Verwendung von SKOS und RDFS sowie andererseits mithilfe automatisierter Annotation semanitscher Ambiguität. 

Damit steht die Arbeit in der Tradition der durch William Newman und Lawrence Principe begründeten ‘New Historiography of Alchemy’, die sich zum Ziel gesetzt hat, durch Aufschlüsseln alchemischer Decknamen überholte Vorstellungen über Alchemie/Chymie und ihre Sprache zu revidieren.

Die Preisträgerin

Sarah Lang hat im Jahr 2017 das Diplomstudium Lehramt (Latein-Französisch) und das Masterstudium Religionswissenschaft an der Universität Graz abgeschlossen; die Masterstudien Philosophie (Abschluss 2019) und Lehramt Geschichte-Altgriechisch (Abschluss 2020) führte sie ebenfalls an der Universität Graz durch. Seit 2018 ist Sarah Land Doktorandin im Fach Digital Humanities an der Universität Graz und am Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt (Betreuung durch Georg Vogeler und Martin Mulsow).

Sarah Lang ist seit 2016 Mitarbeiterin an Projekten des ZIM der Universität Graz (zunächst als Studienassistentin, in weiterer Folge auch als PraeDoc und Projektassistentin) und ist Mitglied des Netzwerk Alchemie des Forschungszentrum Gotha, hat Digital Humanities Zertifikate in den Bereichen Kulturmanagement (Digital curation, museology, cultural heritage computing) und Digital Humanities (Zertifikat ‘Informationsmodellierung in den Geisteswissenschaften’) erworben.

Stipendien und Auszeichnungen (Auswahl):
Fellow am Ludwig-Boltzmann-Institut für Neulatein in Innsbruck (aktuell) sowie am Science History Institute Philadelphia (hoffentlich Sommer 2021).
Digital Humanities Fellow am Leibniz Institut für Europäische Geschichte (2020), Fellow an der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel (2019); Stipendiatin der Rolf&Ursula Schneider-Stiftung (2019); New Scholar Award of the Society for the History of Alchemy and Chemistry (2018).