Fabian Kümmeler wird für seine Dissertation Ländliche Gemeinschaften im venezianischen Dalmatien im Spätmittelalter – Lebenswelten und Gemeinschaftsvorstellungen auf Korčula im Vergleich (1420-1499) ausgezeichnet.
Die Dissertation untersucht ländliche Lebenswelten und Gemeinschaften auf der süddalmatinischen Insel Korčula im Zeitraum von 1420 bis 1499. Basierend auf dem reichhaltigen Korčulaner Quellenkorpus im kroatischen Staatsarchiv in Zadar erschließt sie ein breites Spektrum nahezu unerforschter Gerichts-, Verwaltungs- und Ratsakten sowie Notariatsbestände. Über die mikrohistorische Rekonstruktion ländlicher Lebenswelten und deren Verflechtung mit den Strukturen und Prozessen der Zeit verbindet die Arbeit quellenbasierte mediävistische Grundlagenforschung mit Ansätzen der Anthropologie. Durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung eröffnet sie nicht nur neue Perspektiven auf die Landbevölkerung als Handlungsträger venezianischer Verwaltung im ländlichen Raum, sondern auch anthropologisch inspirierte Einblicke in die soziokulturellen und ökonomischen Praktiken der ländlichen Gesellschaft im venezianischen Dalmatien. Ihre Ergebnisse sind über das venezianische Südosteuropa hinaus sowohl für sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Vergleiche ländlicher Gesellschaften als auch für übergreifende Fragestellungen zur ländlichen Herrschafts-, Gerichts- und Verwaltungspraxis im venezianischen Stato da Mar von Relevanz.
Die Arbeit legt ein vielschichtiges und dynamisches ländliches Gemeinschaftsgefüge frei, welches eng mit der politischen Elite und dem städtischen Milieu verflochten war. In den Lebenswelten ländlicher Akteure kam den Dorfgemeinschaften eine Schlüsselrolle zu: Als in den Statuten der Insel verankerte Rechtsperson tätigten diese Rechtsgeschäfte und waren kollektiv haftbar. Im halbjährlichen Turnus übten jeweils einige Dorfbewohner im Distrikt ihres Dorfes als gewählte kommunale Amtsträger unter der Führung des venezianischen Statthalters weitreichende Verwaltungs- und Exekutiv-funktionen aus, wodurch die Landbevölkerung einen Zugang zur administrativen Schriftlichkeit erhielt. Zugleich verschmolzen in den Dörfern unterschiedliche Gemeinschaftsstrukturen. Dazu zählten die Hirtengemeinschaften, die Vertragsbeziehungen zur sozioökonomischen Elite unter-hielten, während ihre Hütetätigkeit innerhalb der dörflichen Sozialstrukturen vielfach zu Konflikten führte.
In diesem Spannungsfeld bildete das Korčulaner Statutenrecht gleichermaßen ein sinnstiftendes Prinzip ländlicher Gemeinschaftsvorstellungen wie eine Schlüsselreferenz gemeinschaftlichen Zusammenlebens. In wechselseitiger Interaktion mit wohlhabenden Patriziern und städtischen Akteuren behaupteten die ländlichen Gemeinschaften ihre sozioökonomische Stellung im Korčulaner Solidaritätsgefüge. Durch ihre selbstbewusste statutenorientierte Gemeinschaftspraxis demonstrierten sie darüber hinaus eine tiefgreifende Integration in den von kommunalen Traditionen geprägten adriatischen Teil des venezianischen Stato da Mar im Spätmittelalter.
Fabian Kümmeler hat nach den Magisterstudien Mittelalterliche und neuere Geschichte, Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande und Musikwissenschaft (Abschluss 2010 an der Universität Bonn) sowie Internationale Friedens- und Sicherheitspolitik (Abschluss 2011 an der Universität Hamburg) das Doktoratsstudium im Fach Geschichte 2018 an der Universität Wien mit Auszeichnung abgeschlossen. Während seines Doktoratsstudiums arbeitete Fabian Kümmeler als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien und als Lektor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien (März 2017 – August 2019). Von März 2019 – März 2020 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa tätig. Seit April 2020 ist Fabian Kümmeler APART-GSK-Stipendiat der ÖAW und arbeitet am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes (IHB).