Bader-Preis für die Geschichte der Naturwissenschaften 2020

Cécile Philippe und Johannes Mattes werden für ihr Pilotprojekt Konzepte, Kooperationen und Grenzziehungen: Die nuklearmedizinische Forschung in Österreich während des Kalten Krieges ausgezeichnet.

 

Inhaltliche Ausrichtung und internationale Positionierung der nuklearmedizinischen Forschung in Österreich gehen auf Disziplinbildungsprozesse, Kooperationen und eine Professionalisierung des Felds während des Kalten Krieges zurück. Beginnend mit der ab 1950 einsetzenden klinischen Anwendung von Radiopharmaka an der II. Medizinischen Universitätsklinik des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien, wurden während der 1970er Jahre die ersten eigenständigen Abteilungen für Nuklearmedizin an österreichischen Klinken und 1974 die European Society of Nuclear Medicine mit Sitz in Wien ins Leben gerufen. Zwei Jahre später erfolgte an der Universität Innsbruck die Errichtung der ersten eigenen Lehrkanzel sowie 1991 die Gründung der Wiener Universitätsklinik für Nuklearmedizin als eine der am besten ausgestatteten Einrichtungen in Europa.

Das vorliegende Projekt beschäftigt sich mit den Epistemen, Praktiken und der Bildung dieser jungen Disziplin und analysiert den Einfluss österreichischer Forschungseinrichtungen und ihrer internationalen Netzwerke zur Zeit des Kalten Krieges. Neu an diesem Vorhaben ist, dass auf der Ebene von Konzepten, Methoden und (disziplinären) Grenzziehungsprozessen die Entwicklung des Felds an der Schnittstelle mehrerer etablierter medizinischer und naturwissenschaftlicher Fächer erforscht wird. Dazu werden erstmals umfangreiche Aktenbestände ausgewertet, die sich in den Archiven von Behörden und wissenschaftlichen Einrichtungen, bei Fachgesellschaften und wesentlichen Akteuren erhalten haben.

Die Relevanz des Projekts ergibt sich aus der verbindenden Rolle, die österreichische Nuklearmediziner, die von ihnen etablierten Kommunikationsplattformen und -formate diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs einnahmen und damit die europäische Wissenschaftslandschaft nachhaltig prägten. Die einsetzende nuklearmedizinische Forschung stand vor der Herausforderung sich international zwischen Ost und West zu positionieren und nutzte dabei die geopolitische Randlage und die Neutralität der jungen Republik, um sich als „Brückenbauer“ und gleichberechtigter Partner auf beiden Seiten der Systemgrenze zu etablieren. Integrative Konzepte in Diagnostik und Therapie standen Grenzziehungsprozesse zu anderen Disziplinen gegenüber. Die Möglichkeit, durch Applizierung von Radioisotopen dynamische Prozesse im Organismus nichtinvasiv sichtbar zu machen und damit die Qualität der Befundung zu steigern, grenzte das Feld von der Radiologie ab, die mittels statischer Bildgebung anatomische Körperstrukturen darstellte. Zugleich verhalf die Entwicklung eigenständiger therapeutischer Verfahren der Nuklearmedizin dazu, sich als medizinisches Fachgebiet zu etablieren.

Die Preisträgerin und der Preisträger

Cécile Philippe hat das Diplomstudium Pharmazie an der Universität Wien 2009 abgeschlossen; von 2009-2013 war sie Doktorandin am Department Pharmazeutische Technologie & Biopharmazie der Universität Wien und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinischen Abteilung für Nuklearmedizin der Medizinischen Universität Wien (Leitung: Prof. Marcus Hacker) und promovierte im Oktober 2013. Seit 2014 hat Cécile Philippe eine Postdoc-Stelle am Department of Biomedical Imaging and Image-guided Therapy, Division of Nuclear Medicine, an der Medizinischen Universität Wien. Cécile Philippe leitete von 2017-2018 die Arbeitsgruppe “Radiopharmacy and Experimental Nuclear Medicine” der Klinischen Abteilung für Nuklearmedizin. Seit 2019 ist Cécile Philippe Kontrollleiterin der Radiopharmaka. Cécile Philippe wurde 2017 der Rudolf Höfer-Preis für ihre Publikation „[18F]FE@SNAP—a specific PET tracer for melanin-concentrating hormone receptor 1 imaging?“ zuerkannt.

Johannes Mattes hat 2013 im Fach Geschichte an der Universität Wien promoviert, war ab 2014 Lektor am Institut für Geschichte der Universität Wien; 2018 war Johannes Mattes Gastprofessor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (Paris) sowie Gastwissenschaftler an den Universitäten Stanford und York (Toronto). Seit 2018 hat Johannes Mattes eine Postdoc-Stelle in der Arbeitsgruppe „Geschichte der ÖAW 1847-2022“ (Leitung: Prof. Brigitte Mazohl) inne. Johannes Mattes ist wissenschaftlicher Koordinator des Projekts “Prosopography of the Austrian Academy of Sciences” und Mitglied der Arbeitsgruppe “Wissenschaft und Metropole” (Leitung: Prof. Mitchell G. Ash, Universität Wien) der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften (ÖAW).