Hanna Lucia Worliczek erhält den Bader-Preis für die Geschichte der Naturwissenschaften für ihr Pilotprojekt “Merely Descriptive” and Therefore Dismissed? A History of Descriptive Research and the Imperative of Mechanistic Explanation in Cell Biology
Die heutige Zellbiologie, die von Forderungen nach mechanistischen Erklärungen zellulärer Prozesse dominiert wird, ist mit einem Dilemma konfrontiert: die epistemische Praxis beschreibender Forschung, wie sie etwa in der Zellmorphologie praktiziert wird, ist in Narrativen von Zellbiolog_innen häufig abschätzig konnotiert oder wird als nicht prestigeträchtig beurteilt. In den letzten Jahren haben allerdings renommierte Zellbiolog_innen nach einer Aufwertung deskriptiver Forschung verlangt, diese sogar als Voraussetzung für die Heuristik der zellbiologischen Wissensproduktion und für Innovation benannt. Nichts desto trotz lassen derartige Forderungen Bezugnahmen zu historischen Entwicklungen und klare Abgrenzungen unterschiedlicher epistemischer Praktiken vermissen. Auch fehlt eine historische Konzeptualisierung deskriptiver Forschungspraktiken und damit assoziierter Aushandlungsprozesse für den Zeitraum zwischen 1950 und heute.
Dieses durch den Bader-Preis geförderte Pilotprojekt dient zur Vorbereitung eines größeren Forschungsprojektes, in dem eine umfassende Untersuchung der Geschichte deskriptiver Forschung in der Zellbiologie nach 1950 durchgeführt werden wird. Das Projekt ist durch zwei zentrale Fragen geleitet: Welche Stile zellbiologischer Forschung – auch jenseits der Morphologie – wurden wann und warum von Zellbiolog_innen als deskriptiv eingeordnet? Wie haben sich diskursive Praktiken, die mit deskriptiver Forschung assoziiert waren, in der wissenschaftlichen Praxis, Publikations- und Forschungsförderungslandschaft entwickelt und das Feld der Zellbiologie beeinflusst? Mit der Untersuchung solcher diskursiven Konstruktionen soll dieser Ansatz einen Beitrag zu einem robusten historischen Verständnis jener Konzepte liefern, die von Zellbiolog_innen in heutigen Debatten zu Innovation abgerufen werden und gleichzeitig eine neue epistemologische Perspektive auf die Geschichte der Lebenswissenschaften des 20. Jahrhunderts bieten.
Hanna Worliczek hat 2005 das Diplomstudium Mikrobiologie an der Universität Wien abgeschlossen; sie promovierte 2010 in Genetik-Mikrobiologie an der Universität Wien und an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Von 2010-2014 war Hanna Worliczek Postdoc am Institut für Parasitologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien, wo sie von 2010-2013 auch Gruppenleiterin der Junior Research Group „Host-Parasite Interactions“ war. Seit 2014 ist sie Fellow im fwf-Doktoratskolleg „The sciences in historical, philosophical and cultural contexts“ am Institut für Geschichte der Universität Wien und wird 2019 im Fach Geschichte an der Universität Wien promovieren.
Stipendien (Auswahl): Stipendiatin des fwf-Doktoratskollegs „The sciences in historical, philosophical and cultural contexts“ (2014-2018, Universität Wien); McDonnell-Scholar am Marine Biological Laboratory, Woods Hole (November 2017); Gastforscherin am Institut für Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin (Mai-Juni 2017); Visiting Scholar am Department of History and Philosophy of Science, University of Cambridge (Oktober-Dezember 2016); KWA-Stipendiatin der Universität Wien (März-Mai 2016).