Gustav Figdor-Preis für Sprach und Literaturwissenschaften 2022

Daniel Ehrmann wird für seine Monographie Kollektivität. Geteilte Autorschaften und kollaborative Praxisformen 1770-1840, Böhlau Wien und Köln 2022,ausgezeichnet.

Seit der Jahrtausendwende hat die Autorschaftsforschung im deutschsprachigen Raum einen erheblichen Aufschwung genommen, wobei auch ältere Ansätze erneut kritisch untersucht und einige Desiderate ausgemacht wurden. Zwei Felder stechen dabei besonders hervor, die bislang nicht befriedigend untersucht wurden: kollektive und anonyme Autorschaft.

In diesem Bereich, der noch viele offene Fragen birgt, ist das Buch angesiedelt. Es erkundet, was ‚kollektive Autorschaft‘ meint und unter welchen Voraussetzungen sie überhaupt als Phänomen beobachtet werden kann. Weil kreative Kollektivität erst vor der Folie eines (dominanten) Paradigmas individueller Autorschaft signifikant wird, rekonstruiert das Buch zunächst diesen vermeintlichen Normalfall von Textproduktion, der sich zur Mitte des 18. Jahrhunderts etabliert. Er basiert auf einer ‚Poetik der Entäußerung‘, in der die Instanzen der Produktion und Repräsentation von literarischen Texten im Konzept des Schöpferischen zur Deckung gebracht werden. Ausgehend von den Irritationen und Friktionen, die Kollektivität unter diesen Bedingungen erzeugt, wird der Vorschlag gemacht, die Ebene der Verfasserschaft systematisch von einer Ebene der Autorschaft zu trennen, um die Entsprechungs- oder Differenzverhältnisse besser in den Blick zu bekommen. Dadurch ergeben sich, etwa mit Blick auf die Kollaborationen der Weimarer Klassik und die impliziten Hierarchien der Frühromantik, zum Teil kontraintuitive Befunde und es können neue Perspektiven in die Forschungsdiskussion eingebracht werden (Nachleben von kollektiven Werken).

Das Buch entwickelt nicht nur ein neues Konzept zur Beschreibung der Genieperiode (‚Poetik der Entäußerung‘), sondern legt auch eine weitreichende Heuristik vor (Trennung von Verfasser und Autor). In seiner Verbindung von philologischen Befunden, die aus der genauen Autopsie von Handschriften und historischen Drucktexten gewonnen wurden, mit größeren Entwicklungen in ihrer diskursanalytischen und (text-)kulturwissenschaftlichen Modellierung stellt es einen innovativen Beitrag zur Erforschung von Autorschaft, ihrer symbolischen Valenzen, sozialen Institutionalisierungen sowie ihrer medialen wie materialen Konkretisierungen dar.

Der Preisträger

Daniel Ehrmann hat 2010 das Lehramtsstudium in den Fächern Deutsch und Geschichte an der Universität Salzburg abgeschlossen. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg (als Senior Scientist und in Drittmittelprojekten). Er war DOC-Stipendiat der ÖAW (2014 bis 2017) und von 2017 bis 2021 Universitätsassistent am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg, wo er 2020 promovierte. Seit März 2021 ist Daniel Ehrmann APART-GSK-Stipendiat der ÖAW am Institut für Germanistik der Universität Wien, wo er an seinem Habilitationsprojekt Aggregation. Relationalität und die Konstellationen der Literatur (1650 – 1950) arbeitet. 2021 wurde Daniel Ehrmann mit dem Wendelin-Schmidt-Dengler-Preis der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik ausgezeichnet.