Claus Lamm erhält den Elisabeth Lutz-Preis 2014 in Anerkennung seiner Forschungsleistungen im Bereich der neurowissenschaftlichen und biologischen Mechanismen des menschlichen Sozialverhaltens.
Die vor ungefähr 15 Jahren entstandene Subdisziplin der Sozialen Neurowissenschaften beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, welche neurobiologischen Mechanismen der Empathiefähigkeit zugrundeliegen. Dadurch wurden neue und bedeutsame Erkenntnisse hinsichtlich der die Menschheit seit jeher beschäftigenden Frage generiert, was es uns ermöglicht, einander (besser) zu verstehen. Es zeigte sich unter anderem, dass Empathie ein hochkomplexes soziales und emotionales Phänomen ist, an dessen Entstehung und Ausgestaltung unterschiedlichste Gehirnstrukturen und psychologische Funktionen beteiligt sind. Dabei interagieren in einem dynamischen Wechselspiel automatisch-reflexive und eher angeborene Prozesse mit regulierenden und eher erworbenen Prozessen. Diese Prozesse werden durch unterschiedliche neuronale Strukturen ermöglicht, wie etwa durch Areale, die an Wahrnehmungs-Handlungs-Koppelung (parietaler und prämotorischer Kortex), Perspektivenübernahme und Emotionsregulation (dorso-medialer und -lateraler Präfrontalkortex), sowie der Repräsentation und Regulation von emotionalen Zuständen (anteriorer insulärer und medial zingulärer Kortex) beteiligt sind.
Zentraler Mechanismus der Empathiefähigkeit scheint dabei eine Art von „verkörperter Simulation“ des Gefühlszustandes der anderen Person basierend auf den an der direkten, eigenen Empfindung dieses Gefühlzustandes beteiligten Mechanismen zu sein. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass an empathischen Reaktionen ähnliche Gehirnareale und physiologisch-körperliche Reaktionen beteiligt sind wie an der Eigenempfindung der empathisch nachempfundenen Emotion. Dieser Mechanismus ermöglicht auch eine Reihe an konkreten Vorhersagen hinsichtlich der verhaltensmäßigen Effekte und Implikationen von Empathie. Diese beinhalten u.a., dass Empathie ein flexibel regulierbarer und somit auch trainier- und förderbarer Prozess ist, dass vermutlich auch andere Tiere als der Mensch zumindest Vorstufen von empathischen Reaktionen aufweisen, oder dass Empathie zwar Altruismus fördert, dabei aber selektiv insbesondere uns nahestehende oder ähnliche Personen bevorzugt. Diese Erkenntnisse der sozialen Neurowissenschaften werden vermehrt auch dazu herangezogen, Empathie-Förderprogramme bei Kindern und Erwachsenen zu entwickeln, sowie um klinisch-psychologische Interventionen zu gestalten - z.B. bei Personen, die durch autistische oder psychopathische Persönlichkeitseigenschaften charakterisierbar sind. Anhand von solchen Entwicklungen kann daher auch aufgezeigt werden, wie sich aus neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung konkrete praktische Implikationen von hoher gesellschaftlicher Relevanz ergeben können.
Claus Lamm ist Professor für Biologische Psychologie und Leiter der Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. nach seinem Studium der Psychologie an der Universität Wien war er mehrere Jahre am INSERM, an der University of Chicago sowie an der Universität Zürich tätig, bis er im Jahr 2010 nach Wien zurückkehrte.