Gustav Figdor-Preis für Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften 2021

Caroline Heber wird für ihre Habilitationsschrift Enhanced Cooperation and European Taxation Oxford University Press 2021, ausgezeichnet.

Auf europäischer Ebene scheitern legislative Vorhaben im Bereich des Steuerrechts vielfach an der Hürde der Einstimmigkeit. Die Finanztransaktionssteuer, die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, aber auch Änderungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sind Beispiele für einen legislativen Stillstand, ausgelöst durch Blockaden einzelner Mitgliedstaaten. Um den willigen und bereiten Mitgliedstaaten ein gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene zu ermöglichen, erlauben die europäischen Verträge einer Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten, die Organe der EU zu nutzen und nur für sie bindendes Recht zu erlassen. Bislang wurde von der Möglichkeit der Bildung einer sogenannten verstärkten Zusammenarbeit nur sehr selten Gebrauch gemacht. Im Bereich des Steuerrechts gibt es bislang kein einziges Erfolgsbeispiel. Die Gründe für die Zurückhaltung sind schnell gefunden: Die teilnehmenden Mitgliedstaaten fürchten Wettbewerbsnachteile und sind unsicher, ob sie Handelsbarrieren gegenüber nicht-teilnehmenden Mitgliedstaaten schaffen dürfen, die notwendig sind, um das Ziel des gemeinsam geschaffenen Rechts zu erreichen.

Schutzmaßnahmen gegenüber nicht-teilnehmenden Mitgliedstaaten gestalten sich meist in Diskriminierungen oder Beschränkungen, welche die Grundfreiheiten im Binnenmarkt grundsätzlich verbieten. Der EuGH legt für die Prüfung von mitgliedstaatlichen Beschränkungen und Diskriminierungen sowie deren Rechtfertigung einen sehr strengen Maßstab an. Nicht jeder Unterschied der Sachverhalte versagt eine Diskriminierung und nur ausgewählte Rechtfertigungsgründe erlauben eine Andersbehandlung. Folglich gewährt der EuGH nur einzelnen nicht marktbezogenen Werten den Vorzug gegenüber der Marktfreiheit. Im Bereich der verstärkten Zusammenarbeit findet diese Rechtsprechungslinie aber nicht uneingeschränkt Anwendung, denn das Recht einer verstärkten Zusammenarbeit ist nicht mit legislativen Maßnahmen der Mitgliedstaaten gleichzusetzen. Durch die verstärkte Zusammenarbeit vertiefen die teilnehmenden Mitgliedstaaten ihr Integrationslevel und gemeinsam priorisieren sie nicht markbezogene Werte. Die Arbeit zeigt anhand von integrationspolitischen Ansätzen auf, wie sich der privilegierte Status des Rechts der verstärkten Zusammenarbeit – oberhalb der Ebene mitgliedstaatlicher Gesetzgebung, aber dennoch nicht ganz auf dem Niveau allgemein verbindlicher Richtlinien und Verordnungen – in eine besondere Rechtfertigung von Einschränkungen der Marktfreiheiten zum Schutze des integrationspolitischen Gruppenerfolgs übersetzen lässt.

Die Preisträgerin

Caronline Heber hat 2010 das Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Universität Graz abgeschlossen, wo sie 2012 auch promovierte. Während des Doktoratsstudiums war Caroline Heber wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Finanzrecht der Universität Graz (März 2010 bis Feber 2012). Das postgraduale Studium (Master of Taxation-Program) an der Universität Sydney, Law School, Australien, schloss Caroline Heber 2013 ab. Seit Oktober 2013 ist Caroline Heber wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München, und Lehrbeauftrage an der Juristischen Fakultät der Universität München. Im Oktober 2020 habilitierte sich Caroline Heber an der Wirtschaftsuniversität Wien, Lehrbefugnis für die Fächer Finanz- und Steuerrecht und Europarecht.

Auszeichnungen (Auswahl):

Kardinal-Innitzer-Förderungspreis, Rechts- und Staatswissenschaften (2021), Albert-Hensel-Preis (2021), Wolfgang Gassner-Wissenschaftspreis, Hauptpreis (2020), Emile Noël Fellowship Jean Monnet Center for International and Regional Economic Law & Justice, NYU Law School, USA (2017), Mentee des Exzellenz-Programms „LMUMentoring“, Ludwig-Maximilians-Universität München (seit 2015), Derivatives and Financial Instruments Award, International Bureau of Fiscal Documentation IBFD (2014), Dr. Maria Schaumayer Preis (2012), Sydney Law School Foundation International Scholarship (2012).