Franz Hartlieb wird für seine Habilitationsschrift Verbandsvertragsrecht ausgezeichnet.
Der Verbandsvertrag, also die vertragliche Grundlage rechtsfähiger Gesellschaften, weist einen janusköpfigen Charakter auf: Er ist sowohl organisationsrechtliches Fundament des in weiterer Folge entstehenden Rechtsträgers als auch schuldrechtliche Gründungsvereinbarung zwischen den Vertragsparteien. Auf die schuldrechtliche Seite kommen grundsätzlich die allgemeinen Vorgaben des ABGB über Verträge zur Anwendung. Trotzdem beantworten Literatur und Judikatur zahlreiche Fragen nach abweichenden Regeln. Das legt die Vermutung nahe, dass die Charakteristika des Verbandsvertrags – dieser ist ein regelmäßig mehrpersonaler, entgeltfremder, unvollständiger, auf lange Zeit ausgelegter Vertrag der Interessengemeinschaft, der einen Rechtsträger hervorbringt – eigenständige Gesetzmäßigkeiten verlangen. Ob das zutrifft und wie mit Rechtsfragen beim Abschluss solcher Verträge umzugehen ist, untersucht die Habilitationsschrift aus rechtsdogmatischer Perspektive unter Einbezug ökonomischer Einsichten sowie kognitionspsychologischer Erkenntnisse.
Dazu identifiziert und vergleicht sie zunächst jene Rechtsprinzipien, die im Vertragsrecht und im Verbandsrecht wirken, wägt diese ab und ermittelt deren Bedeutung für Verbandsverträge. Sie wendet diese Vorgaben in der Folge auf Rechtsfragen des Abschlusses und der inhaltlichen Ausgestaltung des Verbandsvertrags an. Die Arbeit zeigt, dass der Langzeitcharakter, die Entgeltfremdheit und die Mehrpersonalität nicht verbandsvertragsspezifisch sind, sodass einschlägige Rechtsfragen vertragsrechtlich gelöst werden müssen. Demgegenüber sind die Interessengemeinschaft, das verbandsbegründende Element und dem Ausmaß nach die Unvollständigkeit eigentümlich für Verbandsverträge. Die vertragsrechtlichen Vorgaben werden dadurch aber nicht verdrängt, sondern angepasst und zum Teil fortentwickelt. Rechtliche Lösungen müssen daher auch hier mit den Vorgaben des Vertragsrechts im Einklang stehen. Diese Erkenntnisse leitet die Schrift in ein System des Verbandsvertragsrechts über, das es Rechtsanwendern erlaubt, einschlägige Rechtsfragen wertungskonsistent zu lösen.
Franz Hartlieb studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Klagenfurt, Salzburg, Linz und Rom (Tor Vergata), war Universitätsassistent in Klagenfurt und Graz sowie ein Jahr in einer Rechtsanwaltssozietät tätig. Anfang 2020 forschte er für zwei Monate am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. Im Juni 2022 hat ihn die Universität Graz für die Fächer Unternehmensrecht, Gesellschaftsrecht, Zivilrecht sowie Bank- und Kapitalmarktrecht habilitiert. Franz Hartlieb ist Privatdozent am Institut für Unternehmensrecht der Universität Graz sowie Gastprofessor für Privatrecht am Institut für Rechtswissenschaften der Universität Klagenfurt.