Dominik Haas wird für seine Dissertation „Gāyatrī: Mantra and Mother of the Vedas. A Philological-Historical Study“ ausgezeichnet.
Der kurze, als Gāyatrī und Sāvitrī bekannte Mantra (Ṛgveda III 62.10) gehört zu den am häufigsten rezitierten Texten der Menschheit. Im Laufe der Zeit wurde er nicht nur als „Mutter der Veden“ personifiziert, sondern sogar als Göttin verehrt. Die vorliegende Studie zeigt erstmals, wie der Mantra als religiöser Text Bedeutung erlangte und wie er vergöttlicht wurde. Um diese Geschichte zu rekonstruieren, wurden Passagen aus mehr als hundert vedischen und Sanskrit-Texten aus der Zeit zwischen etwa 1000 v.u.Z. und 1000 n.u.Z. einer philologisch-historischen Analyse unterzogen. Um den Prozess der Deifikation zu erklären, enthält die Studie auch eine interdisziplinäre Komponente, die sich auf religionswissenschaftliche Perspektiven und Erkenntnisse stützt. Der erste Teil demonstriert, dass die adaptive Wiederverwendung des Mantras in den mittelvedischen Śrauta-Ritualen ausschlaggebend für seine Auswahl als primärer Initiationsmantra war, und argumentiert weiters, dass diese Funktion hauptverantwortlich für seinen späteren Aufstieg zu einem Wahrzeichen des brahmanisch geprägten Hinduismus war. Der zweite Teil verfolgt die Entwicklung des Mantras zur und als Göttin bis hinein in das Tantrische Zeitalter. Er zeigt, dass mehrere Faktoren zu seiner Vergöttlichung beitrugen, darunter nicht nur seine Personifikation, sondern auch seine Identifikation mit der Göttin Sūryā bzw. Sūryā Sāvitrī.
Die Dissertation wurde 2023 als 110. Band in den Beiträgen zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens vom Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht (https://doi.org/10.1553/978OEAW93906). Ihre Ergebnisse werden, da sich der Mantra und seine Vergöttlichung auch in einigen modernen religiösen und spirituellen Strömungen großer Beliebtheit erfreuen, nicht nur für die klassische Südasienkunde und Religionswissenschaft von Interesse sein, sondern auch für eine breitere Leserschaft.
Dominik Haas (https://orcid.org/0000-0002-8505-6112) schloss sein Doktorat 2022 an der Universität Wien ab. Seine Veröffentlichungen befassen sich mit diversen Aspekten der Sanskrit-Literatur und der Kultur- und Religionsgeschichte Südasiens, insbesondere mit vedischen Texten, Mantras und Yoga. Einem interdisziplinären Ansatz folgend kombiniert er philologische und historische Forschung mit Methoden und Perspektiven verschiedenster Fächer, darunter Textlinguistik und Religionswissenschaft. Seit 2020 war er unter anderem am Institut für Kultur und Geistesgeschichte Asiens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, am Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Universität Wien und am International Institute for Asian Studies der Universität Leiden tätig.