Gerhard Thonhauser wird für seine Dissertation „Ein rätselhaftes Zeichen. Zum Verhältnis von Martin Heidegger und Søren Kierkegaard“ ausgezeichnet.
Das Buch bietet die erste historisch-philologisch fundierte und philosophisch-systematisch orientierte Gesamtdarstellung von Martin Heideggers Rezeption von Søren Kierkegaard. Sie kontextualisiert diese innerhalb der Tendenzen der deutschsprachigen Rezeptions- und Übersetzungsgeschichte Kierkegaards von ihren Anfängen bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts und bringt dadurch die Besonderheiten von Heideggers Kierkegaard-Rezeption zur Abhebung.
Der rezeptionshistorische erste Teil konzentriert sich erstens auf die Rolle der von Christoph Schrempf (und Hermann Gottsched) angefertigten, ersten deutschsprachigen Ausgabe von Kierkegaards Gesammelten Werken, die bis zur Neuübersetzung durch Emanuel Hirsch (und Hayo Gerdes) in den 1950er Jahren die maßgebliche Grundlage für die deutschsprachige Kierkegaard-Rezeption war, gleichwohl Schrempfs Übersetzungen von äußerst mangelhafter Qualität sind. Zweitens steht Theodor Haeckers wirkmächtiges Bild von Kierkegaard als einem religiösen Denker der Innerlichkeit im Mittelpunkt, das auch von Karl Jaspers, dem wichtigsten Vermittler zwischen Kierkegaard und Heidegger, weitergetragen wurde.
Unter Einbeziehung sämtlicher mittlerweile zur Verfügung stehenden Quellen wird im zweiten Teil Heideggers Verhältnis zu Kierkegaard in den Wandlungen seines Denkweges verfolgt. Es zeigt sich dabei, dass Heideggers Verhältnis zu Kierkegaard kein einheitliches ist, sondern eine fragmentarische Abfolge von Verhältnissen. Fünf Phasen von Heideggers Kierkegaard-Rezeption lassen sich unterschieden: Eine Phase produktiver Auseinandersetzung in den frühen Freiburger Vorlesungen (1919-1923); eine Phase expliziter Ablehnung und impliziter Wirkmächtigkeit in den Marburger Jahre (1924-1928); eine Phase enthusiastischer Affirmation nach der Rückkehr nach Freiburg (1929-1934); eine Phase zunehmender Abgrenzung und historischer Einordnung im Zuge des seinsgeschichtlichen Denkens (1935-1945); und eine durch Desinteresse gekennzeichnete Spätphase (ab 1946).
Aufgrund ihres umfassenden Quellenstudiums und der umsichtigen Interpretation ist diese Arbeit ein unerlässliches Referenzwerk für zukünftige Arbeiten zum Verhältnis von Heidegger und Kierkegaard. Der rezeptionshistorische erste Teil hat darüber hinaus Bedeutung für alle, die sich mit der Kierkegaard-Rezeption Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigen möchten.
Gerhard Thonhauser hat das Doktoratsstudium Philosophie 2015 abgeschlossen. Seit 2012 ist Gerhard Thonhauser Universitätsassistent am Institut für Philosophie der Universität Wien. Die Diplomstudien Philosophie und Politikwissenschaft schloss er 2010 ab. Von 2011 bis 2012 war Gerhard Thonhauser Doc-Stipendiat der ÖAW für sein Dissertationsprojekt „Das Verhältnis von Martin Heidegger und Søren Kierkegaard: Rezeption, Einfluss, Aktualität“.