Michael Stadler wird für seine Dissertation The Ontological Nature of Part-Whole-Oscillations. An Interdisciplinary Determination ausgezeichnet.
Alles Erfahrbare und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch alles Existierende ist sowohl Teil eines umfassenderen Ganzen als auch ein Ganzes für etwas darin Enthaltenes. Mit anderen Worten gibt es nichts, was nicht in einer Beziehung von Teilen und Ganzen stehen würde. Die genaue Beschaffenheit solcher Strukturen gehört zu den ältesten, grundlegendsten und noch immer diskutierten Themen der philosophischen Ontologie.
Eine Frage, welche in diesem Zusammenhang gestellt werden kann, ist die Folgende: Welche Seite ist fundamentaler und erzeugt die andere, d. h. hängt das Ganze von seinen Teilen ab oder die Teile vom Ganzen? Im Gegensatz zu vielen vorhergehenden Argumentationen, welche entweder die Teile oder das Ganze priorisieren, ist mein Dissertationsprojekt eine ontologische Erörterung, die eine Alternative zu einer hierarchischen Auffassung von Teilen und Ganzem mit einseitigem Abhängigkeitsverhältnis vorschlägt. Mittels einer Untersuchung des dynamischen ‚Dazwischen‘ bzw. Wechselspiels von Teilen und Ganzem entwickle und bestimme ich eine ontologische Kategorie namens ‚Teil-Ganzes-Oszillationen‘ (part-whole-oscillations, pwo). Diese Entwicklung kombiniert zwei entscheidende methodische Herangehensweisen: eine apriorische top-down Methode der formalen Ontologie und eine bottom-up Untersuchung empirischer Phänomene. Anhand von Edmund Husserls dritter Logischer Untersuchung zeige ich auf, dass die erste Methode nur von beschränktem Nutzen für die Bestimmung der ontologischen Beschaffenheit von pwo ist, da sie zu formalen Ungereimtheiten führt. Erst durch die Anwendung der zweiten Methode erhalten wir ein klareres Bild in dieser Hinsicht. Der empirische Aspekt des Dissertationsprojektes besteht erstens in einer Untersuchung der kognitiv-linguistischen Konzepte der ‚konzeptuellen Metapher‘ und der ‚konzeptuellen Metonymie‘ sowie zweitens in einer kritischen Analyse der ‚Gestalt‘-Idee, wie sie in der klassischen und zeitgenössischen Gestalttheorie entwickelt wird. Durch die derartige Bestimmung von pwo und durch die Argumentation zugunsten empirischer Wahrnehmung für den Erhalt ontologischer Einsichten zeige ich auf, dass sowohl eine ausschließlich analytische Herangehensweise in Richtung auf die Teile als auch eine ausschließlich synthetische Ausrichtung zum Ganzen hin ungenügend ist. Dies trifft vor allem zu im Falle von wahrnehmungsmäßig bedeutsamen Teil-Ganze-Strukturen. Deswegen ist es angebracht, eine bidirektionale und mehr erfahrungsbasierte Auffassung voneinander abhängiger Teil-Ganze-Beziehungen zu entwickeln.
Michael Stadler hat das Doktoratsstudium Philosophie an den Universitäten Ferrara und Wien (Cotutelle de thèse) 2018 abgeschlossen. Das Masterstudium Philosophie absolvierte er 2011-2013 im Rahmen des deutsch-französischen Masterprogrammes 'Erasmus Mundus Europhilosophie' an den Universitäten Toulouse, Luxemburg, Memphis (TN) und Prag; das Bachelor-Studium in Philosophie führte er 2008-2011 an der Radboud University Nijmegen durch. Von 2015-2017 war Michael Stadler DOC-Stipendiat der ÖAW.