Roland Atefie-Preis 2021

Philipp Berghofer wird für seine Dissertation On the Relevance of a Phenomenological Epistemology: Husserlian Approaches to Experiential Justification ausgezeichnet.

Phänomenologische Zugänge spielen in der gegenwärtigen analytischen Erkenntnistheorie kaum eine Rolle. Das Ziel der Arbeit von Philipp Berghofer besteht grob gesprochen darin, einen wichtigen Beitrag zu leisten, das zu ändern. Es soll also die Relevanz Edmund Husserls und seiner phänomenologischen Tradition für aktuelle Debatten nachgewiesen werden und ein entscheidender Schritt in Richtung gegenseitig bereichernder Diskussionen getätigt werden. Es wird argumentiert, dass ein genuin phänomenologischer Beitrag zur analytischen Erkenntnistheorie möglich ist, und zwar dergestalt, dass sich von einer phänomenologischen Erkenntnistheorie sprechen lässt. Der Fokus liegt auf der rechtfertigenden Kraft unterschiedlichster Typen von Erfahrungen. Das Hauptziel besteht darin, einen phänomenologischen Zugang zu Erfahrungsrechtfertigung zu etablieren. Die These lautet, dass gewisse Erfahrungen aufgrund ihres distinkten phänomenalen Charakters rechtfertigen. Diese These hat Philipp Berghofer folgendermaßen ausformuliert:

PCEJ: Certain experiences have a distinctive, justification-conferring phenomenology, and if an experience E has such a justification-conferring phenomenology with respect to proposition p, E, by virtue of its phenomenology, provides immediate prima facie justification for believing that p.

Die Kernfrage der Arbeit lautet also: Warum besitzen gewisse Erfahrungen wie bspw. visuelle Wahrnehmungserlebnisse eine rechtfertigende Kraft? Die Antwort, die Philipp Berghofer begründet und verteidigt, lautet, dass gewisse Erfahrungen einen präsentierenden phänomenalen Charakter haben, also ihre Gegenstände und Inhalte anschaulich präsentieren, und dass dieser präsentierende phänomenale Charakter dafür verantwortlich zeichnet, dass es sich bei diesen Erfahrungen um eine Quelle unmittelbarer Prima-facie-Rechtfertigung handelt.

Im letzten Teil von Philipp Berghofers Dissertation wird Husserls ehrgeiziges Projekt besprochen, seine Phänomenologie als Erste Philosophie, als universale Wissenschaft zu etablieren. Hier definiert er zuerst präzise, was es für ein erkenntnistheoretisches Prinzip bedeutet, letztbegründend und letztbegründet zu sein. In diesem Kontext stellt Philipp Berghofer ein phänomenologisch-erkenntnistheoretisches Prinzip auf, das diesen Anforderungen genügt und argumentiere, dass sich Husserls Projekt realisieren lässt.

 

Der Preisträger

Philipp Berghofer hat nach Abschluss der Bachelor-Studien Philosophie (2010) und Physik (2012) sowie des Master-Studiums Philosophie (Abschluss 2013) im Fach Philosophie an der Universität Graz promoviert (Juni 2019). Während seines Doktoratsstudiums war er DOC-Stipendiat der ÖAW (Jänner 2016 bis September 2018); von Oktober 2018 bis September 2019 hatte er eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Graz. Seit Oktober 2019 hat Philipp Berghofer eine Postdoc-Stelle als Stipendiat des FWF (Forschungsprojekt: Intentionality and Symbolic Construction: The Phenomenological Background of Hermann Weyl’s Philosophy of Physics). Während des Doktoratsstudiums war Philipp Berghofer Gastforscher an der Universität Köln (Stipendium a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, Mai bis August 2017) und absolvierte einen kurzen Forschungsaufenthalt im Rahmen des Forschungsprojekts Spacetime after Quantum Gravity an der Universität Genf. Im Frühjahr 2023 wird Philipp Berghofer ein Semester als Gastforscher an der University of Pittsburgh (Center for Philosophy of Science) verbringen. Philipp Berghofer ist der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie und book review editor der Zeitschrift Husserl Studies. Er ist Mitherausgeber des Sammelbandes Phenomenological Approaches to Physics (Synthese Library, 2020) und Autor der Monografie The Justificatory Force of Experiences (Synthese Library, 2022).