Marissa Giustina wird für ihre Publikation „Significant-Loophole-Free Test of Bell’s Theorem with Entangled Photons”, erschienen in Physical Review Letters 115, 250401 (2015) ausgezeichnet.
Waren die Dinge, die wir in der Natur sehen, schon da, bevor wir sie beobachtet haben? Zu einer scheinbar metaphysischen Frage wie dieser liefert die moderne Quantenphysik eine empirische Antwort. Und sie lautet verblüffender weise: Nein. Seitdem der Physiker John Bell jene Frage in eine mathematische Ungleichung übersetzt hatte, verdichten sich die empirischen Hinweise auf eine negative Antwort in zahlreichen Experimenten mit verschränkten Quantenteilchen von den 70er Jahren bis heute. Doch bei einer solch schwerwiegenden Aussage, die zugleich ein entscheidendes Grundmerkmal der Quantentheorie untermauert, kann man nicht penibel genug sein! Alle bisherigen Bell-Experimente litten unter mehr oder weniger starken Zusatzannahmen und Unsauberkeiten, und sie ließen daher Raum für Restzweifel. Für die hier ausgezeichnete Studie wurde ein Bell-Experiment so sauber und präzise wie noch nie durchgeführt – im zweiten Keller der Wiener Hofburg.
Verschränkung ist eine von der Quantentheorie vorhergesagte Verknüpfung zwischen Teilchen, die dazu führt, dass Messungen auf einem der Teilchen sofortige Wirkungen auf das andere haben, egal wie weit entfernt beide voneinander sind. Verschränkte Paare von Lichtquanten wurden unter der Hofburg in der Mitte eines 60 Meter langen Ganges erzeugt und zu Messstationen an beiden Enden geschickt, wo ihre Polarisationsrichtungen entlang zufällig ausgewählter Achsen nahezu zeitgleich gemessen werden mussten. Gemittelt über mehrere Milliarden Messungen ergab sich eine statistische Korrelation zwischen den Messergebnissen beider Seiten, die deutlich stärker war, als es Bells Ungleichung erlaubt.
Im Vergleich zu früheren Experimenten wurde ein deutlich größerer Bruchteil der produzierten Lichtteilchen auch gemessen, was eine hohe Detektionseffizienz und ein äußerst präzises Timing erforderte. Letzteres war ebenfalls notwendig, um die hypothetische Möglichkeit auszuschließen, dass eine Verletzung der Bell-Ungleichung nicht wegen Verschränkung, sondern nur aufgrund von unbeobachteten, sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitenden Signalen zwischen den Messstationen auftritt.
Neben anderen Besonderheiten ist es diese noch nicht dagewesene Präzision, die den in der Studie durchgeführten Versuch zu einem der glaubwürdigsten seiner Art macht. Er beantwortet die oben gestellte empirische Grundfrage so klar wie nie zuvor mit einem Nein.
Marissa Giustina hat das Masterstudium Ingenieurwissenschaften 2010 an der Thayer School of Engineering am Dartmouth College (USA) abgeschossen. Seit 2010 ist Marissa Giustina Mitarbeiterin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation IQOQI Wien der ÖAW und absolviert das Doktoratsstudium Physik an der Universität Wien. Von 2010 bis 2016 war Marissa Giustina Teilnehmerin am Wiener Doktorandenprogramm für komplexe Quantensysteme (CoQuS) mit den Forschungsschwerpunkten experimentelle und theoretische Quantenphysik.