Kristin Tessmar-Raible wird für ihre hervorragenden Forschungsleistungen im Bereich der molekularen Chronobiologie ausgezeichnet.
Kristin Tessmar-Raible untersucht, wie natürliche Rhythmen und Licht Physiologie und Verhalten beeinflussen. Es ist gut bekannt, dass tägliche Rhythmen, wie Schlaf-/Wachrhythmen oder auch Stoffwechselrhythmen der Leber, durch innere Oszillatoren, auch innere Uhren genannt, gesteuert werden. Ein wichtiges Merkmal solcher inneren Oszillatoren ist, dass sie selbst unter konstanten Umweltbedingungen weiterlaufen, aber unter natürlichen Bedingungen durch Umweltreize synchronisiert werden. Für die täglichen (zirkadianen) Uhren sind die zugrunde liegenden molekularen und zellbiologischen Mechanismen schon sehr gut verstanden. Jedoch so wie Menschen Termine nicht nur mit einer Uhr festlegen, sondern auch einen Kalender zur Feststellung eines bestimmten Tages innerhalb eines bestimmten Monats nutzen, synchronisieren viele Organismen Physiologie und Verhalten mit den Jahreszeiten, sowie mit bestimmten Mondphasen. Speziell die Mondphaserhythmen sind noch wenig verstanden, obwohl sie besonders für Meeresorganismen sehr gut dokumentiert sind. Berühmt sind beispielsweise die Mondphase-abhängigen Reifezyklen von Korallen, der Palolowürmer und auch der roten Krabben auf den Weihnachtsinseln. Hierbei handelt es sich nicht nur um beeindrucke Naturschauspiele, sondern ökologisch hochrelevante Phänomene, da die Synchronisation der Fortpflanzung essentiell für die Arterhaltung ist. Aufbauend auf Arbeiten aus den 50/60er-Jahren hat hier Kristin Tessmar-Raible wegweisende Erkenntnisse gewonnen. Sie realisierte, dass der Borstenwurm Platynereis dumerilii besonders gut für die mechanistische Untersuchung Mond-gesteuerter Rhythmen geeignet ist und etablierte gemeinsam mit Kollegen zahlreiche Techniken der modernen Molekularbiologie und Genetik für diesen Wurm. Damit konnte sie Hinweise aus den 1960er-Jahren bestätigen, dass der Wurm einen inneren monatlichen Oszillator besitzt, eine Art inneren Kalender. Dieser wird durch nächtliches Licht, in der Natur Vollmond, gestellt. Sie zeigte auch, dass dieser monatliche Oszillator bemerkenswerterweise unabhängig von den Oszillationen der täglichen Uhr ist, und somit vermutlich sein eigenes Regelwerk besitzt.
Durch den Einsatz von Lichtquellen, deren Spektren und Intensität auf Messungen im natürlichen Lebensraum des Wurms basieren, in biochemischen, zellbiologischen, genetischen und physiologischen Experimenten konnte ihr Labor gemeinsam mit Kollaborationspartnern zeigen, dass es ein Molekül gibt, welches zwischen Mond- und Sonnenlicht unterscheiden und Mondphasen dekodieren kann.
Des weiteren hat Tessmar-Raibles Arbeit auch wichtige Erkenntnisse zur Modulation der individuellen Lauflängen innerer Tagesuhren, zur Regulation von Neurohormonen durch UVA-Licht und zu Einflüssen nicht-visueller Lichtrezeptoren auf Verhalten geliefert.
Kristin Tessmar-Raible hat im Juni 2004 an der Universität Marburg im Fach Biologie promoviert. Bis 2008 arbeitete sie als Postdoc am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. Im Jahr 2008 erfolgte der Wechsel an das Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Wien, wo Kristin Tessmar-Raible die Leitung einer Forschungsgruppe der Max Perutz Labs übernahm. Von März 2015 bis November 2017 hatte Kristin Tessmar-Raible eine Berta-Karlik-Professur inne und war stellvertretende Zentrumsleiterin (April 2017 bis März 2020). Seit November 2017 sie ist ordentliche Professorin für Chronobiologie am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Wien.
Preise und Auszeichnungen (Auswahl):
- EMBO member (seit 2021)
- ERC-Grant (2020-2025) für das Projekt "Mari.Time. 'Dissecting the mechanistic basis of moon-controlled monthly timing mechanisms in marine environments'" (ERC-CoG 819952, Höhe der Förderung: 2 Mio Euro)
- ERC-Starting Grant (2014-2019) für das Projekt StG2013 “Molecular neurobiology of a moonlight entrained circalunar clock” (ERC-StG 337011-LUNAR.CLOCK, Höhe der Förderung: 1,5 Mio Euro)
- START-Preis des FWF (2009-2015) für das Projekt “A Molecular Approach to Lunar Periodicity” (#AY0041321, Höhe der Förderung: 1,2 Mio Euro)
- 21st Stephen M. Schütze Memorial Award, Columbia University, New York (2019)
- FENS/Kavli Network of Excellence Scholar (2014-2018)
- Otto Loewi-Preis der Austrian Neuroscience Association (2013)
Der Ignaz L. Lieben-Preis wird vergeben an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unter 40 Jahren, die das Doktorat abgeschlossen haben, herausragende Arbeiten in ihrem Fachbereich nachweisen können und die während der letzten drei Jahre vor der Antragstellung (Stichtag: Einreichtermin) in einem der folgenden Länder durchgehend wissenschaftlich tätig gewesen sind: Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn oder Österreich. Höhe des Preises: USD 36.000,-