Björn R. Tammen wird für seinen Publikation A Feast of the Arts: Joanna of Castile in Brussels, 1496, erschienen in Early Music History 30 (2011) S. 213–248 ausgezeichnet.
Der 2011 im renommierten Jahrbuch Early Music History bei Cambridge University Press erschienene Aufsatz befasst sich mit einem einzigartigen Zeugnis spätmittelalterlicher Festkultur: der nach heutigem Wissensstand ältesten erhaltenen Bilderhandschrift einer „joyeuse entrée" aus den burgundischen Niederlanden (Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Ms. 78.D.5).
Zahlreiche kolorierte Federzeichnungen mit knapp gehaltenen lateinischen Erläuterungen geben die zum Einzug Johannas von Kastilien („die Wahnsinnige") als Herzogin von Brabant am 15. Dezember 1496 in Brüssel inszenierten „tableaux vivants" wieder. Schlüsselpositionen der ephemeren Darbietungen sind mit Musikbildern besetzt: Während die ebenso vordergründig wie plakativ in den Dienst einer Herrschaftsallegorie gestellten biblischen Erfinder der Musik, Jubal und Tubalkain, den Zyklus eröffnen, zeigt das abschließende Bild den Evangelisten Lukas als Maler der Madonna, wobei die Darstellung ungewöhnlicherweise von Engelsmusik begleitet wird.
Die Frage nach der Funktion beider „tableaux vivants" und ihrer Musikdarstellungen im Festgeschehen findet in dem auf eine bekanntermaßen musikliebende Prinzessin zielenden Huldigungsaspekt nur eine mögliche Antwort. Sowohl der bildmediale Rekurs auf zwei der für eine „joyeuse entrée" maßgeblichen Künste als auch ihr Identifikationspotenzial für die Gilden der Maler und der Rhetoriker, in deren Umkreis die Urheber des Gesamtprogrammes zu vermuten sind, erweitern den Interpretationshorizont beträchtlich.
Der Beitrag verbindet interdisziplinäre musikikonographische Methodik mit archivalischen, historiographischen und kontextualisierenden Ansätzen zu einer wegweisenden Fallstudie zur Musikkultur des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Zugleich steht er in Zusammenhang mit einer größeren, aus dem bisherigen Forschungsschwerpunkt der Kommission für Musikforschung der ÖAW Musik – Identität – Raum erwachsenden Arbeit zu Repräsentationsbemühungen, Legitimationsstrategien und Identitätskonstruktionen vermittels Musikbild(ern). In dezidiert epochenübergreifender Perspektive wird hierin die Instrumentalisierung von Musikdarstellungen als kulturelle Praxis untersucht (schwerpunktmäßig für den öffentlichen Raum), wie sie etwa auch die Denkmalssetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts oder den Einsatz identitätsstiftender Musikmotive in der Kunst am Wiener Gemeindebau seit den 1920er Jahren kennzeichnet.
Björn R. Tammen, geb. 1966, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Köln, wo er 1997 auch promovierte. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an EU- und FWF-Projekten in Innsbruck und Wien und war Lehrbeauftragter an den musikwissenschaftlichen Instituten der Universitäten Wien und Innsbruck sowie am Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Seit 2006 ist er Mitarbeiter der Kommission für Musikwissenschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.