zu gleichen Teilen an Ortrun Mittelsten Scheid und Jürgen Sandkühler
Jürgen Sandkühler wird in Anerkennung seiner Forschungsarbeiten im Bereich der Schmerzforschung ausgezeichnet.
Neurophysiologie und Schmerzforschung stehen im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeiten von Jürgen Sandkühler. Mit seiner Arbeitsgruppe sucht er nach den Ursachen für die Verstärkung und Chronifizierung von Schmerz. Dabei ist es Jürgen Sandkühler gelungen, fundamentale neurophysiologische Mechanismen aufzudecken, die zur Schmerzüberempfindlichkeit führen. Starke Schmerzreize werden vom Nervensystem nicht nur in Form von Erregungen von Nervenzellen übertragen, sondern ändern auch die Arbeitsweise des Nervensystems und machen es empfindlicher. Es bildet sich ein sogenanntes „Schmerzgedächtnis“. Mit seinen Forschungen konnte Jürgen Sandkühler erstmals zeigen, dass starke oder anhaltende Schmerzreize die Erregungsübertragung von Nervenzelle zu Nervenzelle an den Synapsen lang anhaltend potenzieren und so einen spinalen Schmerzverstärker einschalten können.
In seinen neueren Forschungen beschäftigt sich Jürgen Sandkühler auch mit der Wirkungsweise von Opioiden. Opioide sind die stärksten Schmerzmittel, die dann zum Einsatz kommen, wenn andere Therapien versagen. Opioide binden an sogenannte Opioid-Rezeptoren, die die Weiterleitung von Schmerzsignalen hochwirksam bremsen. Das abrupte Absetzen von Opioiden führt zu einer „Langzeit-Potenzierung“ der synaptischen Erregung in den Schmerzbahnen des Rückenmarks. Dadurch wird die Schmerzempfindlichkeit anhaltend und über das normale Maß hinaus gesteigert. Das kennen Drogenkonsumenten als schwerwiegende Begleiterscheinung beim „kalten“ Entzug. Dass auch Opioide bei abruptem Entzug eine „Gedächtnisspur“ im Schmerzsystem hinterlassen, war eine überraschende Entdeckung bei Jürgen Sandkühlers Forschungen. Mit der Entschlüsselung der molekularen Mechanismen dieser Prozesse konnte Jürgen Sandkühler mit seiner Forschergruppe aufzeigen, dass Schmerzverstärker nicht nur ein-, sondern auch wieder ausgeschaltet werden können, indem über nur kurze Zeit sehr hohe Opioid-Dosierungen verabreicht werden, die einerseits einen sofortigen schmerzstillenden und sedierenden Effekt haben und andererseits die im Schmerzgedächtnis gespeicherte Überempfindlichkeit für Schmerz löschen können. In einer Arbeit, die am 10. November in der Zeitschrift „SCIENCE“ erschienen ist, seiner insgesamt sechsten Originalpublikation in „SCIENCE“, konnte Jürgen Sandkühler nun zeigen, dass die Verstärkung und die Ausbreitung von Schmerzen keine „reine Nervensache“ sind, sondern ursächlich durch nicht neuronale Zellen, die Gliazellen, zustande kommen. Diese Entdeckungen sind für die Schmerztherapie von großer Bedeutung.
Jürgen Sandkühler ist seit 2007 Direktor des Zentrums für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien. 2001 wurde er Professor für Neurophysiologie an der Medizinischen Universität Wien. Davor war Jürgen Sandkühler von 1999 bis 2001 Sprecher des interdisziplinären Forschungsprogrammes „Schmerz“ an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. Von 1996 bis 1997 lehrte Jürgen Sandkühler als Gastprofessor am Institut für Physiologie der Universität Freiburg; von 1996 bis 2001 war er Assistenzprofessor am Institut für Physiologie der Universität Heidelberg. Sein Medizinstudium schloss er 1988 an der Universität Heidelberg ab.
Auszeichnungen (Auswahl): Kardinal Innitzer Würdigungspreis „Naturwissenschaft“ (2015), Winner, Basic Science Research Prize, The Austrian Capter oft he IASP (2015); 1st Research Prize, The Austrian Chapter oft he IASP (2009), Winner of the German Pain Prize, The German Pain Society (2005), Heisenberg-Award der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1995).