Erwin Schrödinger-Preis 2016

zu gleichen Teilen an Ortrun Mittelsten Scheid und Jürgen Sandkühler

Ortrun Mittelsten Scheid wird in Anerkennung ihrer Forschungsarbeiten im Bereich der molekularen Genetik der Pflanzen ausgezeichnet.

Die Forschungstätigkeit von Ortrun Mittelsten Scheid konzentriert sich auf genetische und epigenetische Ursachen der Entwicklung von Pflanzen und ihren Reaktionen auf Umweltfaktoren. Mit diesem Thema beschäftigt sich Ortrun Mittelsten Scheid seit 1991, als sie erstmalig zeigen konnte, dass Gene durch epigenetische Regulierung inaktiviert, aber auch wieder aktiviert werden können. Durch Mutationsversuche mit der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) hat Mittelsten Scheid mehrere molekulare Komponenten identifiziert, die das Pflanzengenom in euchromatische (mit aktiven Genen) und heterochromatische (weniger abgelesene Sequenzen) Regionen teilen und die Genexpression damit maßgeblich mitbestimmen. Diese Aufteilung kann während der Entwicklung und durch Umweltstress verändert werden, und das Verständnis dieser Vorgänge ist Ziel der Arbeitsgruppe. Ein schönes Beispiel ist die Aktivierung von sogenannten „transposable elements“ durch Hitzestress, die darauf beruht, dass sich eines der Elemente ein durch Hitze aktivierbares Regulationsmodul von Pflanzengenen „gestohlen“ hat und damit unter Hitzeeinwirkung selbst auch angeschaltet wird. Durch Transposons ausgelöste Veränderungen der Genaktivitäten gibt es auch bei Pilzen und Tieren: ein Beleg dafür, dass sich genetische und epigenetische Konfigurationen gegenseitig beeinflussen können. Eine weitere Fragestellung der Forschung ist die nach den Konsequenzen verdoppelter Chromosomensätze (Polyploidie), die bei Pflanzen häufig vorkommt. Dabei kann es zu sehr stabilen, epigenetischen Veränderungen kommen, die zu Nicht-Mendelschen Vererbungsgängen führen und eine Rolle in der Evolution spielen können.

Die Preisträgerin

Ortrun Mittelsten Scheid ist seit 2004 Senior Group Leader am Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Von 2007 bis 2009 war sie interimistisch wissenschaftliche Direktorin des GMI. Nach Studium und Promotion 1985 in Hamburg war sie als Postdoktorandin am Max Planck-Institut für Zellbiologie in Ladenburg, der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und am Friedrich Miescher-Institute for Biomedical Research in Basel tätig. 2000 habilitierte sie sich an der Universität Basel im Fach Botanik, 2006 für Genetik an der Universität Wien.
Die Forschung von Ortrun Mittelsten Scheid wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF), das Swiss Federal Office for Education and Science (BBW), das GENome Research in AUstria Programm, das EU Network of Excellence, die European Science Foundation (ESF) und den Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert. Das hat die Ausbildung zahlreicher junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Arbeitsgruppe ermöglicht, von denen inzwischen viele an internationalen Standorten weiter forschen. Ortrun Mittelsten Scheid ist Ko-Editorin mehrerer Fachzeitschriften und seit 2008 Kuratoriumsmitglied des FWF.