Erwin Schrödinger-Preis 2020

Markus Arndt wird für seine hervorragenden Forschungsleistungen auf dem Gebiet der Quantennanophysik, insbesondere der Materiewellen-Interferometrie ausgezeichnet.

Markus Arndt erforscht die Grundlagen der Quantenmechanik an der Schnittstelle zur klassischen Physik, zur Chemie und zur biomolekularen Physik. An der Universität Wien entwickelt er mit seinem Forschungsteam weltweit einmalige Materiewellen-interferometer, mit dem Ziel, die Grundlagen der Physik auszuloten und dabei hochsensitive neue Messverfahren für molekulare Eigenschaften zu entwickeln.            
Seine Forschung ist aufs Engste mit dem Schrödinger-Preis verbunden: Es war Erwin Schrödinger, der im Jahre 1926 – basierend auf einer Hypothese Louis De Broglie’s – erstmals die Wellengleichung der Quantenmechanik formulierte. Die ihr zugrunde liegende „Linearität“ der Quantenphysik wurde eine zentrale Säule der modernen Naturwissenschaften sowie unzähliger technologischer Anwendungen, die heute, im Zeitalter der vielzitierten zweiten Quantenrevolution, eine rasante Entwicklung erleben.     
Es ist daher verblüffend, dass es bis heute keine einheitliche Interpretation dafür gibt, was Schrödinger eigentlich beschrieben hat, was die Wellenfunktion repräsentiert und ob seine Gleichung auf allen Skalen gültig bleibt? Zahlreiche komplementäre Interpretationen sind nützliche Hilfen, um sich an die oft verblüffenden experimentellen Beobachtungen heranzutasten, auch wenn sie sämtlich unserer makroskopischen Alltagserfahrung widersprechen: Eine vereinfachte Darstellung der Wellenfunktion beschreibt, dass ein Objekt zugleich an verschiedenen Orten ‚sein‘ kann. Eine andere, dass die Realität einer physikalischen Größe nicht existiert, wenn sie prinzipiell unbestimmbar ist. 

Das Experiment lehrt, das ‚Unbestimmtheit‘ in der Physik nicht unbedingt eine Frage menschlichen Unwissens ist, sondern oft eine intrinsische Eigenschaft der Natur, mit konkret messbaren Konsequenzen. Die Unbestimmtheit des Ortes eines Atoms oder Moleküls kann zu wellenartigen Interferenzen führen, die im Labor zweifelsfrei experimentell sichtbar gemacht werden können und tatsächlich in höchstsensitive Kraftmessungen praktische Verwendung finden. So wird aus einer philosophisch motivierten Frage nach der Bedeutung von Sein und Realität ein ganz praktisches Werkzeug der Quantensensorik und Metrologie.  

Die Gruppe um Markus Arndt konnte diese Quantenwellennatur komplexer Moleküle schon in mehreren, zunehmenden universellen, Interferometern nachweisen. Sämtliche dieser komplexen Experimente wurden im Team an der Universität Wien konzipiert, gebaut und betrieben. Der Nachweis gelang schon für organische Moleküle – darunter Fullerene, Porphyrine und Phthalocyanine – für molekulare van der Waals Cluster – z.B. auch aus Koffein oder Vanillin – bis hin zu komplexen Biomolekülen – von Vitaminen, über Neurostimulanzien, bis hin zu Antibiotika und Polypeptiden. In Kollaboration mit der Gruppe des Chemikers Marcel Mayor in Basel konnten sie kürzlich sogar die Materiewellen-Natur von funktionalisierten Oligoporhyrinen zeigen, einer Molekülfamilie, in der jedes Teilchen aus bis zu 2000 Atomen besteht und zwischen 25‘000 – 28‘000 Protonenmassen wiegt. 

Für diese Quantenexperimente entwickelt Arndt mit seinem Team kontinuierlich neue Methoden der Molekularstrahlphysik, der Massenspektroskopie, der Detektion, sowie der Kühlung von Makromolekülen und Nanoteilchen. Die Experimente erfordern zudem, Ideen der Lichtoptik für die Wellennatur der Materie zu verallgemeinern.

Eine konkrete Anwendung: Die nanometer-feinen molekularen Interferenzstreifen dienen als Quantenlineal zur minimalinvasiven Messung elektrischer, magnetischer, optischer sowie struktureller und dynamischer Eigenschaften von isoliert delokalisierten Molekülen. 

Aktuelle Arbeiten sind neuen Materialklassen gewidmet, darunter Metallclustern und dielektrischen Nanoteilchen, die es erlauben sollen, die Quantenphysik sehr massiver Objekte zu studieren, sowie Arbeiten zu kalten Quellen, kohärenten Strahlteilern und Quantendetektoren für neutrale Biomolekularstrahlen, die eine neue Quantenmetrologie und Spektroskopie an Proteinen ermöglichen sollen.

 

Der Preisträger

Markus Arndt forschte am MPQ Garching in der Gruppe von A.R. Weis und T.W. Hänsch und erhielt dafür sein Doktorat 1994 an der LMU München. Als Postdoc arbeitete er zunächst mit A.R. Weis und T.W. Hänsch, dann mit J. Dalibard an der Ecole Normale Supérieure in Paris (1995/97) und mit A. Zeilinger an der Universität Innsbruck (1997/98). Von 1999-2002 war Markus Arndt Universitätsassistent bei Anton Zeilinger an der Universität Wien, wo er im Jahr 2002 auch habilitierte und Ao. Professor wurde. Im Jahr 2004 wurde Markus Arndt auf die Universitätsprofessur (V-Professur) „Quantennanophysik“ an der Universität Wien berufen. Diese Professur wurde 2008 evaluiert und entfristet.

Preise und Auszeichnungen (Auswahl):
START-Preis des Ministry of Education, Science & Culture & FWF (2001), Wittgenstein-Preis des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung & FWF (2008), ERC Advanced Grant (2012), Preis für Naturwissenschaften und Technik der Stadt Wien (2013), Robert-Wichard-Pohl-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (2019).