Norbert Christian Wolf wird für seine Monographie „Kakanien oder Der moderne Roman als Gesellschaftskonstruktion. Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts im ‚Mann ohne Eigenschaften‘" ausgezeichnet.
Norbert Christian Wolf beschäftigt sich in seiner wissenschaftlichen Forschung mit der deutschsprachigen und internationalen Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts, wobei seine Schwerpunkte im Bereich der (österreichischen) Aufklärung, der Weimarer Klassik, der klassischen Moderne sowie der Gegenwartsliteratur liegen. Er interessiert sich insbesondere für ästhetische, kulturhistorische und kultursoziologische Fragestellungen. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt liegt auf der literaturwissenschaftlichen Intermedialitätsforschung.
In der ausgezeichneten Monographie unternimmt Norbert Christian Wolf eine integrale Gesamtinterpretation von Musils monumentalem Roman mit dem Fokus auf dessen zeithistorische bzw. gesellschaftsanalytische Leistung und stützt sich dabei unter anderem auf Pierre Bourdieus Konzept einer Sozioanalyse literarischer Texte.
Ausgehend von einer Rekonstruktion der ‚negativen‘ Anthropologie Musils sowie seiner essayistischen, ‚antifilmischen‘ Poetik werden im ersten Teil der Studie mit der „Eigenschaftslosigkeit" und dem „Möglichkeitssinn" zunächst zwei Grundbegriffe des Romankonzepts auf ihre sozioanalytischen Implikationen hin profiliert. Darauf folgt im Hauptteil der Arbeit die Lektüre des Romantextes als gesellschaftliches Kräftefeld.
Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der zeitkritischen Diagnose einer im widersprüchlichen Modernisierungsprozess befindlichen Gesellschaft sowie von deren konkreten historischen bzw. ideologischen Bezugspunkten in der konfliktreichen österreichischen und deutschen Vor- und Zwischenkriegszeit.
Ein abschließender Teil beschäftigt sich mit der Stellung des Romans und seines Autors im zeitgenössischen literarischen Feld sowie mit dessen indirekter schriftstellerischer Selbstanalyse.
Eine Besonderheit der Untersuchung besteht in ihrer breiten kultur- und literaturgeschichtlichen Kontextualisierung, die sich nicht nur auf Musils Essays und seinen umfangreichen Nachlass erstreckt, sondern auch auf zahlreiche diskursive Zusammenhänge mit der zeitgenössischen Politik und Wissenschaft sowie der deutschsprachigen und internationalen Literatur. Der Mann ohne Eigenschaften wird somit als moderner Klassiker der österreichischen Literatur lesbar gemacht, der die Wurzeln der katastrophischen Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts schonungslos offen legt und dessen kritische Befunde weit über den sozialwissenschaftlichen Kenntnisstand seiner Zeit hinausweisen.
Norbert Christian Wolf, geboren 1970, studierte Germanistik, Geschichte und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien, Paris und Berlin und promovierte 1999 an der FU Berlin. 2004 erhielt er ein APART-Stipendium der ÖAW und wurde im gleichen Jahr als Juniorprofessor an die FU Berlin berufen.
Seit 2009 ist er Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Salzburg.